Bei 13 von 45 Fake-Upstream-Emissionsminderungs-Projekte (UER) könne keine Rückabwicklung stattfinden. Da diese Projekte bereits abgeschlossen seien, sei dies mit Bezugnahme auf den Vertrauensschutz nicht mehr möglich. So argumentierte unter anderem Daniel Rinkert (SPD) im Bundestag. Die zuständigen Instanzen verpassen somit, der Ankündigung von Steffi Lemke Folge zu leisten, „alles [zu] unternehmen, um [die Projekte] rückabzuwickeln“ . Man bezieht sich auf den sogenannten Vertrauensschutz, der Quotenverpflichteten zusichern soll, dass angerechnete Quote nicht mehr aberkannt werden kann. Dieser ist jedoch keineswegs unumgänglich. Das war auch Thema in einer Anhörung des Umweltausschusses am 04.12.2024.
Der Vertrauensschutz ist ein Rechtsgrundsatz, laut dem Bürgerinnen und Bürger wie auch Unternehmen sich auf die bestehende Rechtslage bzw. Entscheidungen von Behörden grundsätzlich verlassen dürfen und z.B. bei Gesetzesänderungen keine rückwirkenden Konsequenzen zu befürchten haben. Im Falle der UER-Nachweise soll dieser eintreten, sobald die Nachweise vom Konto des Projektträgers auf das des Verpflichteten übertragen wurden. Das ist bei 13 der als betrügerisch identifizierten Projekte der Fall.
Aus rechtlicher Sicht bestünde allerdings die Möglichkeit, im vorliegenden Komplex rückwirkend Aberkennungen durchzuführen. Diese Möglichkeit wird auch von Rechtsanwalt Dr. Wolfgang Heinze von der Kanzlei SNP Schlawien in einem Rechtsgutachten in der Anhörung im Bundestag vom 04.12.2024 diskutiert, da eben der Vertrauensschutz nicht generell und grundlos gewährt werde, sondern es z.B. Einschränkungen des Vertrauensschutzes bei Täuschungen etc. gibt. So könnte Klimaschutz nachgeholt werden.
In der Verordnung, die die Anrechnung von UER auf die Treibhausgasquote regelt (UERV), ist für den Fall „Unrichtige UER-Nachweise“ festgelegt, was bei falschen Angaben bei der Emissionsminderung passieren soll (§ 24 UERV): Tritt dies ein, so ist das UBA berechtigt, die Höhe der erzielten CO2-Minderung zu berichtigen oder in entsprechendem Umfang die falschen UER-Nachweise zu löschen – beides aber nur auf dem Konto des Projektträgers.
Was aber, wenn die Prüfung bereits abgeschlossen ist und die Nachweise vom Projektträger auf das Konto des Quotenverpflichteten übertragen wurden (wie ein Projektprozess aussieht,https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2024/kw49-pa-umwelt-uer-1031582)? Dann – das scheint zumindest die vorherrschende Ansicht zu sein – würde der unrichtige UER-Nachweis als gültig behandelt und wäre auf die THG-Quote anrechenbar. Wenn man dieser Ansicht folgt, wäre eine Art „gutgläubiger Erwerb“ möglich, der einer Rückabwicklung im Weg stehen würde.
Diese Auffassung ist aber unzutreffend. In dem besagten § 24 UERV sind zwar keine konkreten Sanktionen für den Fall festgeschrieben, dass unrichtige Nachweise bereits auf das Konto eines Dritten übertragen wurden. Das bedeutet aber nicht, dass es automatisch einen „Vertrauensschutz“ oder „Gutglaubensschutz“ gibt. Dieser müsste explizit festgehalten sein, wie beispielsweise im Brennstoffemissionshandelsgesetz (BEHG). Dort heißt es, dass „soweit für jemanden ein Emissionszertifikat auf seinem Konto […] eingetragen ist, […] der Inhalt […] als richtig [gilt]“ (§ 9 Abs. 3 BEHG). Einen solchen Passus gibt es in der UERV aber nicht – somit kann auch kein Gutglaubensschutz für falsch ausgestellte Zertifikate aus der Verordnung abgeleitet werden.
Die Bundesregierung spricht davon, dass eine pauschale Aberkennung aller Zertifikate mit erheblichen finanziellen Unsicherheiten für die Bundesrepublik verbunden sei und bezieht sich dabei auf das Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG). Das Gesetz regelt den Ablauf von Verwaltungsverfahren durch Bundesbehörden. Danach könnte eine Aberkennung mit möglichen Schadensersatzansprüchen gegen die Bundesrepublik einhergehen.
Konkret ist im VwVfG festgelegt, in welchen Fällen ein „rechtswidriger Verwaltungsakt auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, […] zurückgenommen werden kann“ (§ 48 VwVfG). Der Verwaltungsakt ist im Falle UER die „Erteilung der Zustimmung“ (§ 10 UERV). Wenn aber die Voraussetzungen für diese Zustimmung (§ 7 UERV) nicht gegeben waren, ist dieser Verwaltungsakt von Anfang an rechtswidrig. Sollte der Projektträger also in ihm zurechenbarer Weise über das Vorliegen der Voraussetzungen getäuscht haben – wovon in vielen Fällen auszugehen sein dürfte – wäre der Vertrauensschutz ausgesetzt und die Zustimmung könnte auch nach § 48 VwVfG vorgenommen werden. Eine Rückabwicklung bei falschen Projekten ist demnach also sehr wohl möglich.
Würde trotz der gegebenen Rechtsgrundlage eine analoge Anwendung dieses Gesetzestexts im konkreten Kontext der UER-Nachweise abgelehnt werden, gäbe das Verwaltungsverfahrensgesetz noch eine weitere Möglichkeit zur Rückabwicklung her: die Rückgabe von Urkunden und Sachen (§ 52 VwVfG). Falls die Deutsche Emissionshandelsstelle (DEHSt) ihre Zustimmung nicht widerrufen könnte, so wäre es nach dem VwVfG möglich, bei Verwaltungsakten, deren Wirksamkeit nicht oder nicht mehr gegeben ist, „die auf Grund dieses Verwaltungsaktes erteilten Urkunden oder Sachen, […] zurück[zu]fordern“ . So wäre der Quotenverpflichtete, bzw. Projektträger verpflichtet, den UER-Nachweis herauszugeben bzw. dessen Löschung zu ermöglichen.
Aber auch eine Rückabwicklung unabhängig von den bereits erwähnten Gesetzestexten wäre denkbar. Die genannte Zustimmung in der UERV kann so gelesen werden, dass der ausgestellte UER-Nachweis nur in Höhe der tatsächlichen Emissionsminderung besteht. Das UBA kann mit Erteilung der Zustimmung Nachweise für Emissionsminderungen aus UER-Projekten ausstellen. Wenn diese Emissionsminderungen aber im Falle eines betrügerischen Projekts null wären, so ist das folglich auch der Wert des UER-Nachweises. Somit wäre die tatsächliche Höhe der Minderung entscheidend. Die UER-Nachweise würden dann bei den Quotenverpflichteten bleiben, hätten aber keinen Wert mehr.
Es ist also durchaus möglich, abgeschlossene betrügerische UER-Projekte rückabzuwickeln, hierfür gibt es sogar drei Optionen. Das BMUV scheut sich trotz der Rechtslage aber weiterhin, diese für Klima und Wirtschaft notwendigen Schritte zu gehen.
Rechtsanwalt Wolfgang Heinze mutmaßt in der Frankfurter Rundschau, dass sich das Umweltministerium bewusst dazu entschieden habe, das Recht so zu deuten, dass Quotenverpflichtete ihre Zertifikate behalten dürfen. Er mutmaßt, dass im Falle einer Rücknahme der Bescheide „sicherlich einige [der Mineralölkonzerne] vor Gericht ziehen […] würden.“ „Diese möglichen Gerichtsverfahren scheut man offenbar“, führt er weiterhin aus.
Bereits im März 2024 bemängeln Branchenvertreter in einer Stellungnahme zur UERV-Novellierung, dass der Referentenentwurf es verpasse, die Aberkennung von Nachweisen auch für die Quotenjahre 2020-2023 möglich zu machen. Die Aufforderung verhallte ungehört und das BMUV zog keine Konsequenzen. Erst durch steigenden politischen und öffentlichen Druck seit der Gründung der Initiative im September konnten Fortschritte zur geforderten Rückabwicklung der gefälschten Projekte erzielt werden. Während am 06.09. ein Sprecher des BMUV noch erklärte, nur „im Einzelfall“ Projekte zurücknehmen zu können, kündigte Bundesumweltministerin Lemke bereits 5 Tage später an, 32 Projekte rückabzuwickeln . Dieser sehr zu begrüßenden Aussage folgten jedoch bisher keine dringend benötigten Handlungen der Ministerien – trotz rechtlicher Möglichkeiten.
Bundestag:
https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2024/kw41-de-klimazertifikate-1021038
https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2024/kw49-pa-umwelt-uer-1031582
https://www.bundestag.de/presse/hib/kurzmeldungen-1017354
ZDF:
https://www.zdf.de/politik/frontal/nachgehakt-gefaelschte-klimaschutzprojekte-in-china-100.html
Carbonleaks:
https://carbonleaks.de/hintergrund
Bundesjustizministerium:
https://www.gesetze-im-internet.de/vwvfg/__48.html
https://www.gesetze-im-internet.de/vwvfg/__52.html
Frankfurter Rundschau:
Bundesumweltministerium: https://www.bmuv.de/fileadmin/Daten_BMU/Download_PDF/Glaeserne_Gesetze/20._Lp/36_bimschv_aendv/Stellungnahmen/36_bimschv_aendv_stn_bbe_bf.pdf
Bayerisch-Landwirtschaftliches Wochenblatt: