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Die UER-Historie: Über ein Jahr Betrugsskandal und kein Ende in Sicht

Geschrieben von Initiative Klimabetrug Stoppen | Oct 18, 2024 1:27:01 PM
MEDIALE UND POLITISCHE EREIGNISSE DER VERGANGENEN MONATE BIS HEUTE

„Was wir jetzt […] sehen, ist ein Betrugsgeflecht. […] Für 45 Projekte […] kommen wir zu dem Ergebnis, sie sind Teil eines Schattensystems. Also keine realen Projekte, sondern fingierte Projekte.“ So äußert sich Dirk Messner, Präsident des Umweltbundesamtes (UBA) bei ZDF „frontal“ vom 24. September 2024. Eine bedeutende Feststellung, der nun mit der geplanten Rückabwicklung der Upstream-Emissions-Reduktions (UER-)Projekte Taten folgen sollen. Steffi Lemke, die für das UBA zuständige Ministerin, bestätigt nun endlich: Man werde „alles unternehmen“, um zu Unrecht ausgestellte Nachweise rückabzuwickeln. Doch bis heute – über ein Jahr nach ersten Hinweisen – ist die Branche am Boden. Und bis heute ist bis auf Ankündigungen nichts geschehen, um dem Markt noch 2024 unter die Arme zu greifen.

Während die tatsächliche Umsetzung dieser Ankündigung noch aussteht, kommt diese Erkenntnis vor allem reichlich spät - bereits Ende August 2023 gab ein Hinweisgeber eine erste Information zu mutmaßlichem Betrug bei Klimaprojekten in China an das Lemkes Bundesumweltministerium (BMUV). Sowohl das UBA als auch das BMUV verpassten es, trotz weiterer externer Hinweise, den Betrug zu stoppen. Stattdessen führte die Untätigkeit zu einem Milliardenschaden, der sowohl die Biokraftstoff- als auch die E-Auto-Branche hart trifft.

Doch wann hat das Ministerium bereits über den Skandal gewusst – und wann gehandelt oder versäumt zu handeln?

2023: Klare Betrugsindizien, ohne Konsequenzen

Am 31. August 2023 wies ein anonymer Hinweisgeber das BMUV darauf hin, dass bei einem Projekt in China keine tatsächliche Emissionsminderung stattfinde. Eine Reaktion des Ministeriums blieb jedoch aus. Etwa einen Monat später, am 6. Oktober 2023, erhielt auch der Leiter des für die UER-Projekte zuständigen UBA per E-Mail eine Notiz zu dem Betrugsverdacht. Obwohl die Information an das BMUV weitergeleitet wurde, ging auch diese Nachricht ins Leere. Das Ministerium ließ keine eigenständige Aufarbeitung der Betrugsindizien verlauten. Hingegen hat währenddessen die Branche eigenständig Recherchen angestoßen und die Aufdeckung des Betrugsgeflechts in die eigene Hand genommen – und darüber regelmäßig die zuständigen Behörden informiert:

So meldeten am 6. und 18. Dezember 2023 Hinweisgeber aus der Branche erneut Betrugshinweise, diesmal an die Deutsche Emissionshandelsstelle (DEHSt), die als Teil des UBA unter anderem für internationale Klimaschutzprojekte verantwortlich ist. Konkret wurden zwei Projekte benannt, bei denen es klare Indizien für Betrug gab. Trotz erster medialer Aufmerksamkeit Ende Dezember durch einen Artikel über den mutmaßlichen Betrug im Handelsblatt blieben weiterhin Handlungen aus. Positiv ist immerhin, dass sich der Leiter des Fachbereiches V des UBA zu einer Videokonferenz mit Branchenvertretern bereit erklärte. Leider blieb das zunächst der einzige Austausch mit der Branche.

Februar 2024: Eine erste Reaktion - Novelle der UER-Verordnung und Anhebung der THG-Quote

Im Februar 2024 erschien der Entwurf für eine Novellierung der Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (BImSchV) und gleichzeitig der UER-Verordnung (UERV); laut FAQ des BMUV direkt nach Bekanntwerden erster Verdachtsfälle“ – sieben Monate nach Eingang erster Hinweise.

Im Rahmen der BImSchV soll die THG-Quote leicht angehoben werden und mit der Änderung der UERV die Anrechnungsmöglichkeit von UER-Projekten mit dem Jahr 2024 enden. Ausgenommen sind UER-Projekte, die bis zum 1. Juli 2024 eingereicht wurden, diese können auch noch im Jahr 2025 angerechnet werden. Eine Änderung für den Umgang mit UER in der Zukunft also, nicht aber für den Umgang mit bestehenden Betrugsmomenten. Denn: Die im Mai 2024 vom Bundeskabinett beschlossene Novelle ignoriert die bereits entstandenen Konsequenzen des Betrugs: Durch den Verfall des Quotenwertes und in die Mineralölindustrie abgeflossenes Kapital ist in der Branche ein Schaden von 4,4 Milliarden Euro entstanden.

Die Warnungen von Unternehmen und Verbänden der Erneuerbare-Energien-Branche im Rahmen der Verbändeanhörung, dass es einer zusätzlichen Rückabwicklung fälschlich angerechneter THG-Emissionsminderung bedürfe, blieben unbeachtet. Auch deutlich ausgesprochene Forderungen der Branche, wie die Anhebung der Sicherheitsleistung oder eine Aberkennung für die Verpflichtungsjahre 2020-2023, wurden nicht berücksichtigt.

Die novellierte UERV beendet zwar die Möglichkeit der Anrechnung von UER-Projekten vorzeitig, trägt jedoch nicht zur Aufholung des versäumten Umwelt- und Klimaschutzes bei.

Mai 2024: Fingierte UER-Projekte gewinnen an Aufmerksamkeit

Kurz nach Beschluss der UERV-Novelle wird der UER-Betrug in den Medien aufgegriffen. In einem ZDF-„frontal“-Bericht vom 28. Mai decken die Reporter einige der Fake-Projekte in China auf. Besonders pikant ist zum Beispiel das Projekt namens HYOA mit einem „Marktwert von 80 Millionen Euro“. Unter den angegebenen Koordinaten des Projekts steht lediglich ein leerer Hühnerstall. Ein weiteres Projekt namens NNZF, das angeblich im Jahr 2021 neu errichtet wurde, ist laut einer öffentlich einsehbaren Infotafel an der Projektstätte bereits seit 2015 in Betrieb.

In Folge der medialen Berichterstattung erreicht das Thema auch die Diskussionen der Bundespolitik. Am 6. Juni fand eine von der Union anberaumte Sondersitzung der Arbeitsgruppe Umwelt mit dem Thema „Möglicher Milliardenbetrug in Ölbranche“ statt. Eine Woche später waren die gefälschten UER-Projekte auch Thema einer Aktuellen Stunde im Bundestag. Doch auch diese Diskussionen liefen ins Nichts.

Am 3. Juli äußerte sich dann auch Bundesumweltministerin Steffi Lemke. Im Umweltausschuss räumte sie auf den Vorwurf der Tatenlosigkeit ein, dass es mangelhafte Kontrollen gegeben habe. Zwei Tage darauf musste sich Lemke erneut in einer Befragung verantworten, diesmal in einer Sondersitzung des Umweltausschusses. Die Frankfurter Rundschau titelte: „Betrugsgeflecht“ setzt Lemke unter Druck“. Trotz viel Bewegung im politischen Berlin bleibt eine öffentliche Stellungnahme der Bundesumweltministerin und somit auch ein Nachholen des versäumten Klimaschutzes aus. 

Dafür folgen Konsequenzen durch die Exekutive: Am 15. Juli 2024 durchsuchen Polizeikräfte im Auftrag der Staatsanwaltschaft Berlin die Geschäftsräume dreier Prüfstellen, die für die Verifizierung von UER-Projekten zuständig sind. Ermittelt wird gegen 17 Personen unter dem Vorwurf eines gewerbsmäßigen Betrugs in Höhe von über einer Milliarde Euro. 

September 2024: Die Initiative Klimabetrug Stoppen gründet sich

Nach über einem Jahr unbeachteter Forderungen der Erneuerbare-Energien-Branche, gründet sich die „Initiative Klimabetrug Stoppen“. Das Ziel der Initiative ist die Aufklärung und der Umgang mit mutmaßlichen Betrugsfällen sowie fragwürdigen Geschäftspraktiken im Kontext der Treibhausgasminderungsquote (THG-Quote). Am 4. September 2024 gab die anfangs 50 Mitglieder starke Initiative ihre erste Pressekonferenz. Mittlerweile ist die Mitgliederzahl in nur einem Monat auf knapp 100 Unternehmen und Verbände gestiegen.

Der mediale Druck der Initiative verzeichnet schnelle Erfolge: Einen Tag nach der Pressekonferenz räumte das UBA in einem Schreiben an den Bundestag ein, dass der Betrug mit UER-Projekten real ist. Konkret wurden acht Projekte genannt, für die man die Zertifikate entziehen werde. Diese Zahl bestätigt auch Steffi Lemke in einer Sondersitzung des Umweltausschusses am 11. September. Sie gab darüber hinaus an, wo nötig weitere Projekte rückabwickeln zu wollen. Unter wachsender Aufmerksamkeit in der Presse gab der Präsident des UBA bei einer Pressekonferenz etwas mehr als eine Woche später, am 16. September, bekannt, dass 45 UER-Projekte rückabgewickelt werden sollen. Bisher ist es bei der Ankündigung geblieben.

Zudem soll die Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (38. BImSchV) im Lichte des Milliardenbetrugs novelliert werden. In einem Referentenentwurf vom 20. September 2024 wird vorgeschlagen, die Übertragung der Übererfüllung der THG-Quote für die Jahre 2025 und 2026 auszusetzen. Positiv hervorzuheben ist, dass durch die zeitweise ausgesetzte Anrechnung von Quotenübertragungen erneuerbare Antriebe als attraktive Alternative gestärkt werden würden. Während seit Vorlage des Entwurfs tatsächlich eine leichte Erholung des THG-Quotenpreises für 2025 und 2026 zu sehen ist, verfällt aber der Preis für das aktuelle Erfüllungsjahr 2024 noch stärker. Das liegt daran, dass es durch den Wegfall der Anrechnungsmöglichkeit für die nächsten beiden Jahre eine inflationär hohe Anzahl an Nachweisen im Markt gibt, welche nur in diesem Jahr, oder erst ab 2027 wieder angerechnet werden können. Die Stellungnahme der Initiative können Sie hier nachlesen.

Oktober 2024: Antrag auf lückenlose Aufklärung als „putzig“ abgetan

Im Oktober thematisierte die Union das Thema Klimabetrug nochmal in der Regierungsbefragung. Antwort von Staatssekretärin Dr. Bettina Hoffmann aus dem BMUV: Zu akuter und aktueller Hilfe könne man keine Aussage machen, man würde das Thema mit der Umsetzung der RED III der EU angehen, die bis Mitte 2025 umzusetzen ist, für 2024 also viel zu spät.

In derselben Woche brachte die Union einen Antrag in den Deutschen Bundestag, nach dem der Betrug mit gefälschten UER-Zertifikaten lückenlos aufgeklärt werden soll und schnelles Handeln gefordert wird. Stellvertretend für die Bundesregierung sprachen Daniel Rinkert von der SPD und Linda Heitmann von Bündnis 90/Die Grünen. In seiner Rede gab Rinkert an, „nach Bekanntwerden [der] Vorwürfe [habe] die Bundesregierung schnell und entschlossen gehandelt“.

Weiterhin führt er an, dass Interessensvertreter aus der Branche „so tun würden, als wäre Aufklärungsarbeit innerhalb weniger Tage möglich“. Die Historie der Ereignisse zeigt ein anderes Bild. Das BMUV hatte nicht wenige Tage für die Aufklärungsarbeit, sondern hätte bereits seit 2023 an einer Aufarbeitung des UER-Betrugs arbeiten können – während ein Branchenvertreter bereits auf eigene Kosten Recherchen anstieß und umfassende Erkenntnisse gewinnen konnte.

Darüber hinaus streitet Rinkert ab, dass nach dem Verwaltungsrecht eine Rückabwicklung bereits abgeschlossener Projekte realistisch möglich sei. Der Initiative liegt ein Rechtsgutachten vor, das dieser Aussage klar widerspricht. Hier scheint es an Willen zu mangeln, wie sich bei der anschließenden Rede von Linda Heitmann zeigt.

Heitmann spricht davon, dass es „fast ein bisschen putzig“ sei, wie die Union das Thema seit mehreren Monaten immer wieder auf die Tagesordnung setze. Diese Einschätzung ist angesichts eines Betrugsvolumens von 4,4 Milliarden Euro, dutzender Geschäftsaufgaben bei Anbietern für E-Auto-Prämien und fast 9 Mio. t CO2 an entgangenem Klimaschutz nur schwer verständlich. Frau Heitmann weist die Schuld der Union zu, unter deren Regierung das UER-System eingeführt wurde und führt an, das fehleranfällige System sei unter der aktuellen Regierung bereits abgeschafft worden. Es entsteht der Eindruck, auch hier wird keine Dringlichkeit für schnelle Konsequenzen gesehen. Für zahlreiche Branchenmitglieder, die aufgrund des Preisverfalls der THG-Quote in finanzielle Schieflage geraten sind, ist das ein herber Schlag.

Noch immer wird die prekäre Lage der Biokraftstoff- und Elektromobilitätsbranche nicht ernst genug behandelt und sich stattdessen in parteipolitischen Nickligkeiten verstrickt. Unterdessen befindet sich der Markt für Treibhausgasquoten weiterhin im freien Fall.

Ein entschlossenes und zügiges Handeln der Politik ist erforderlich, um den fortlaufenden Schaden für die Branche sowie weitere Versäumnisse im Klimaschutz zu vermeiden. Die Forderungen der Initiative finden Sie in der Stellungnahme zum Referentenentwurf der 38. Bundesimmissionsschutzverordnung. Zudem müssen alle übrigen UER-Projekte weiterhin gewissenhaft geprüft werden: Laut Berechnungen der Initiative besteht bei weiteren 23 Projekten ein Betrugsverdacht.

Quellen:

https://www.zdf.de/nachrichten/wirtschaft/betrug-klimaprojekte-china-umweltbundesamt-zertifikate-100.html

https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/klimaschutz-wie-luftbuchungen-in-china-der-biodiesel-industrie-schaden/100003507.html

https://www.bmuv.de/meldung/bmuv-setzt-uer-anrechnungssystem-nach-verdachtsfaellen-aus

https://www.zdf.de/politik/frontal/betrugsverdacht-bei-klimaschutzprojekten-in-china-mineraloel-konzern-100.html

https://www.bdbe.de/download_file/force/a5bad4b2-b24b-4cd5-807b-9830c023da86/483

https://www.eisenachonline.de/politik/sondersitzung-im-bundestag-zu-betrug-in-der-mineraloelwirtschaft-131252

https://www.fr.de/wirtschaft/deutscher-umweltbetrug-mit-fake-projekten-in-china-lemke-im-ausschuss-zr-93170303.html

https://www.berlin.de/generalstaatsanwaltschaft/presse/pressemitteilungen/2024/pressemitteilung.1466648.php

https://www.bundestag.de/presse/hib/kurzmeldungen-1017354

https://www.fr.de/wirtschaft/behoerden-sehen-sich-mit-neuen-vorwuerfen-zum-klimabetrug-konfrontiert-kompletter-wirtschaftszweig-geschaedigt-zr-93294987.html

https://dserver.bundestag.de/btd/20/132/2013223.pdf